Petra Moske und Elisabeth Schuh haben vor mehr als 20 Jahren das Sozialunternehmen nestwärme e.V. gegründet. Seitdem liest sich die Entwicklung des Unternehmens wie eine Erfolgsgeschichte – nicht zuletzt auch wegen der beiden charismatischen Gründerinnen. Wir haben mit beiden gesprochen.




Frau Moske und Frau Schuh, was verschlägt eine Saarländerin und eine Hessin nach Trier?
Petra Moske: Keine romantische Liebesgeschichte. Mein Vater wurde nach Trier versetzt, als ich 15 Jahre alt war.
Elisabeth Schuh: Ich kam nach zwei Jahren Studium in Bayern nach Trier, weil die Uni in Trier das beste Angebot für klinische Psychologie hatte.
Vor mehr als 20 Jahren sind Sie das Wagnis eingegangen und haben nestwärme gegründet. Erzählen Sie uns ein wenig über die damalige Zeit und die Umstände, die Sie zu diesem Schritt bewogen haben.
Elisabeth Schuh: Als wir uns 1990 kennenlernten, waren wir beide sozial engagiert. Wir arbeiteten dann später bei einem Anbieter von Pflegeleistungen, haben dort gemeinsam dessen Sozialen Dienste in der Region Trier aufgebaut. Durch zwei Kolleginnen haben wir deren Lebenswirklichkeit mit einem behinderten Kind kennengelernt. Wir erlebten, dass diese Familien völlig durch alle Raster der pflegerischen, rechtlichen und sozialen Raster fielen. Von Integration oder Inklusion wurde zwar geredet, aber kaum Konkretes umgesetzt.
Petra Moske: Es bestanden wenig Chancen, das bestehende System zu verbessern, daher gründeten wir 1999 gemeinsam mit betroffenen Eltern, Ärzten, auch der Unterstützung einiger regionaler Politiker den Verein nestwärme e.V. mit unserem Herzensziel, Familien in Krisen Zeit, Geborgenheit und Unterstützung zu schenken – eben »Nestwärme«. Der Name war und ist auch heute noch in unserem Familienhilfenetzwerk Programm.
Nestwärme: Haltung und Realität
Frau Moske, Sie gelten als Netzwerkerin und Unternehmerin, Frau Schuh als die »Kümmerin« der sozialen Belange. Ist diese Arbeitsteilung so noch haltbar? Was konnten oder können Sie voneinander lernen?
Petra Moske: Wir beide haben die gleiche Haltung, wenn es gilt Probleme zu erkennen und Lösungen zu finden. Unser Idealismus hält uns kreativ, wurzelt aber in einem gesunden Realitätssinn. Elisabeth kann fachlich großartig analysieren, Strukturen schaffen, Innovationsprozesse konzipieren und umsichtig organisieren. Wir führen das Sozialunternehmen nestwärme gemeinsam. Sie zeigt mir immer wieder, dass eine gute Kümmerin auch eine gute Managerin sein kann.
Elisabeth Schuh: Wir sind beide leidenschaftliche Kämpferinnen, resignieren ist keine Option. Petra ist eine mitreißende Überzeugerin; sie kann den Sinn unserer vielen fachlichen Leistungen in unglaublicher Kreativität in ein Vorteilsgeflecht für Unternehmen knüpfen, das sie dann zum Nutzen aller zu langjährigen Partnern werden lässt. Sie ist eine feinsinnige Chancenmanagerin.
Als Sozialunternehmen muss nestwärme auch wirtschaftlich auf soliden Füßen stehen. Wie haben Sie diese Herausforderung gemeistert? Haben Sie hier Tipps für angehende Gründer?
Elisabeth Schuh: Unsere unternehmerische Herausforderung ist der funktionierende Mix aus diversen Aufgaben: ambulante Kinderintensivpflege, inklusive Kita, Hospizdienst, Fachberatung, Weiterbildung, Resilienz-Ausbildung, Coaching und zahlreiche Entlastungsangebote durch unsere über 2.000 Familienpaten und Talentschenker. Zum Teil werden die Leistungen durch Kostenträger aus dem Sozial- und Gesundheitswesen refinanziert. Hier muss immer wieder neu verhandelt, müssen Projektträger überzeugt oder eine wissenschaftliche Begleitung als Steuerinstrument und Argumentationshilfe aufgebaut werden. Gute, zuverlässige Arbeit und Beharrlichkeit zahlen sich hier aus.
Petra Moske: Vieles kann nur in Partnerschaft mit Stiftungen, Unterstützern und Spendern geleistet werden. Wir müssen jedes Jahr mehr als 500.000 Euro beschaffen, um die Hilfeleistungen für unsere Familien zu finanzieren. Nur so erhalten wir die Freiräume, um soziale Prozesse anzustoßen, an der Weiterentwicklung von Gesetzen mitzuwirken und die zwingend notwendige Lobbyarbeit für unsere Familien fortzusetzen. Dieses Netzwerk funktioniert nur mit Vertrauen und Zuverlässigkeit, mit Leidenschaftlichkeit für die Sache und Komplexität im Herzen.
Nestwärme gibt es an mittlerweile 15 Standorten, was ein enormes Wachstum innerhalb der knapp 20 Jahre ist. Von einem »Zwei-Frau-Unternehmen« kann nicht mehr die Rede sein. Worin liegt Ihr Erfolgsgeheimnis?
Petra Moske: Bei uns engagieren sich mittlerweile 1500 Ehrenamtliche und 120 Mitarbeiter:innen. Der Humus für nestwärme ist unsere tiefe Überzeugung von Inklusion und Diversität – wir leben das auch konsequent im gesamten Team, mit allen Partnern. Bei uns ist Vielfalt willkommen. Wir lassen Freiräume, die eigenen Stärken einzubringen. So können wir auch das Ehrenamt neu denken und anders leiten. Jeder kann mitwirken, flexibel bleiben, Verantwortung übernehmen, wenn man das will.
Elisabeth Schuh: Diese Komplexität gehört ins Herz und ins Hirn. Als Corona uns ins Homeoffice zwang, haben wir zügig digitale Lösungen entwickelt, um für unsere Familien da sein zu können und unseren Campusbereich ausgebaut. Durch die Digitalisierung ist unser Wirkungskreis global geworden.
Kann man sagen, dass nestwärme mit seinem Angebot eine Lücke füllt, die der Staat bewusst oder unbewusst offengelassen hat?
Petra Moske / Elisabeth Schuh: Ja!
Wenn Sie in der Bundesregierung sitzen würden, was wären Punkte, die Sie bezogen auf Ihre Arbeit so schnell wie möglich durchsetzen würden?
Petra Moske: Ich würde die Digitalisierung voranbringen. Ich sehe darin viele Vorteile. Wir erreichen damit viel mehr Menschen. Es geht nicht darum, Digitalisierung um jeden Preis durchzusetzen, sondern Menschen mehr Teilhabe zu ermöglichen, gerade auch im ländlichen Bereich.
Elisabeth Schuh: Entbürokratisierung, Verschlankung von Entscheidungen und Prozessen. Wir verwalten uns alle zu Tode.
Business galt und gilt oft als die Domäne der Männer. Wie war es vor 20 Jahren für Sie persönlich? Gegen welche Widerstände oder Vorurteile mussten Sie ankämpfen?
Petra Moske: Die Widerstände lagen bei uns weniger bei den Männern, sondern in den viel zu starren Strukturen. Es macht heute noch Freude, mit Erfolg zu überraschen, wenn man unterschätzt wird.
Elisabeth Schuh: Wir haben mit unserer Generallinie immer gute Erfahrungen gemacht: Handeln statt Jammern.
Mittlerweile sind mehr Frauen in den Führungsetagen angekommen, auch dank der durchaus kontrovers diskutierten »Frauenquote«. Braucht Deutschland die Quote oder hat sich das Bewusstsein mittlerweile verändert?
Elisabeth Schuh: In unserem Bereich arbeiten traditionell mehr Frauen als Männer. Bei uns ist die zunehmende Männerquote eine Bereicherung.
Petra Moske: Wir erleben immer wieder, dass Business Männer durchaus einer weiblichen Doppelspitze gewachsen sind.
In der DNA von nestwärme liegt das Streben nach einer inklusiven Gesellschaft. Wie weit sind wir hier schon gekommen und welche Wegstrecke liegt noch vor uns?
Elisabeth Schuh: Das ist eine Jahrhundertaufgabe. Wir glauben, dass jedes Kind und jede Familie Teil einer Gesellschaft ist, in der Unterschiede normal sein können. Die Kinder brauchen unseren Schutz und unsere Stimme. Inklusion ist mehr, es ist das respektvolle Zusammenspiel verschiedener Daseins-, Denk- und Lebensmodelle.
Petra Moske: Zu einer inklusiven Gesellschaft gehört eine solidarische, gerechte Welt. Dieses Ziel müssen wir im Auge behalten. Vorleben ist das Wichtigste. Nicht entmutigen lassen. Bevor wir uns mit den Versäumnissen der anderen beschäftigen, packen wir lieber an.
Die Arbeit bei nestwärme ist sicher erfüllend, aber auch herausfordernd zugleich. Die Schicksale der betreuten Kinder gehen ans Herz. Was sind Ihre »Energiequellen«, aus denen Sie für sich ganz persönlich neuen Mut und Hoffnung schöpfen?
Petra Moske: Meine Hunde – sie zwingen mir die Entspannung auf. Zusammen mit ihnen in der Natur kann ich wunderbar abschalten.
Elisabeth Schuh: Natur, mein Garten. Ich genieße es, Blumen wachsen zu sehen, Gebinde fürs Haus zu machen.
Viele Prominente unterstützen als Botschafter die Arbeit von nestwärme. Gibt es hier bezogen auf anstehende Projekte schon Neuigkeiten?
Petra Moske: Bei uns ist jeder Mitwirkende bedeutend. Da ich noch den Muskelkater spüre von der Traubenlese, fällt mir unsere Winzerfamilie Scholtes in Detzem ein, die uns an ihrem Charity-Wein teilhaben lässt und diesen auch noch »Glückskind« nennt.
Elisabeth Schuh: Unser Leuchtturmprojekt das neue inklusive nestwärme Kinderhaus – das NEST. Baubeginn ist im nächsten Jahr. Es wird alle unsere Dienste unter einem Dach bündeln. Unsere Kinderkrankenintensivpflege können wir im NEST mit der ambulanten Brückenpflege und unserem Kinderhospizdienst ideal verbinden. In liebevoll eingerichteten Familienzimmern unterstützen erfahrene Pflegefachkräfte und Pädagogen die Eltern rund um die Uhr auf dem schwierigen Weg, ihr Kind aus der Intensivstation der Klinik nach Hause zu bringen. Hier bekommen sie eine ganzheitliche und interdisziplinär arbeitende, anleitende Unterstützung. Ja, dabei geht es auch um Wochen des unendlich schweren Abschieds, oft aber auch um Phasen des Kraftschöpfens, um die Aufgaben in der Familie zu meistern.
Petra Moske: Im neuen NEST können schwerkranke, pflegebedürftige Kinder und Jugendliche über kurze oder längere Zeit leben, gepflegt und betreut werden. Für das multifunktionale Kinder-haus haben wir bereits regionale Stiftungen an unserer Seite, aber für diesen neuen Meilenstein für unser Familienentlastungsnetzwerk brauchen wir das Engagement der ganzen Großregion. Wir laden Sie herzlich ein, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen – mit und für die betroffenen Familien für ein Leben voller Nestwärme.
Was glauben Sie, wohin wäre für Sie persönlich die Reise gegangen, hätten Sie nestwärme nicht gegründet?
Petra Moske: Nestwärme hat mich in Trier gehalten, sonst wäre ich jetzt vermutlich in Südafrika.
Elisabeth Schuh: Ich wäre eine weltberühmte Blumenzüchterin und Blumenarrangeurin geworden.