Dr. Carmen von Nell-Breuning leitet in elfter Generation das traditionelle Weingut im Ruwertal und setzt auf Biodynamik.

Vor der Entscheidung, das elterliche Weingut in Kasel zu übernehmen, stand Dr. Carmen von Nell-Breuning das erste Mal mit 34 Jahren. Bis dahin hatte die promovierte Betriebswirtin für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Luxemburg gearbeitet und die Vorteile des Stadtlebens genossen. Mit dem Gedanken, wieder aufs Land zu ziehen, musste sie sich erst einmal anfreunden. Ein Jahr Bedenkzeit hatte sie sich deshalb erbeten. Danach war für sie klar: Sie wollte die seit 1670 bestehende Familientradition zum Weinbau nicht aufgeben. Seit 2013 leitet sie das Dominikaner Weingut ihrer Familie und ist damit die erste Frau in elfter Winzer-Generation.
Die Späteinsteigerin



„Ich stand damals vor dem größten Umbruch meines Lebens“, erinnert sich die heute 46-Jährige noch lebhaft. Die Arbeit im Weinberg war ihr zwar seit Kindheit vertraut, doch fürs Fachwissen musste sie noch einmal zwei Jahre die Schulbank im Steillagen-Zentrum von Bernkastel-Kues drücken. Vater Christoph stand ihr bei der täglichen Routine zur Seite. „Er hat von Tag 1 an losgelassen und mir die volle Verantwortung übertragen“, sagt sie dankbar. „Ich habe von seiner Erfahrung sehr profitiert.“
Ihrer Entscheidung, ab 2019 in den Weinbergen und im Keller nach biodynamischen Prinzipien zu arbeiten, steht der Vater anfangs skeptisch gegenüber, aber er vertraut ihr.
Die Verantwortung, die die junge Frau trägt, ist groß: Sieben Hektar Land gilt es zu bewirtschaften, 35.000 Flaschen Wein und Sekt werden pro Jahr erzeugt. Kultiviert werden Riesling und Spätburgunder.
Der wichtigste und höchst gelegene Weinberg im Ruwertal ist der Dominikanerberg; das Kaseler Nies‘chen mit seiner Premiumlage für Spätburgunder und einer Neigung bis zu 70% genießt Weltruf. Die Sektmanufaktur ist die älteste im Ruwertal.
Alle Rebarbeiten werden in den Weinbergen von Hand verrichtet, die Sektherstellung erfolgt traditionell in Flaschengärung.
Eine sanfte Rebellin
Der Klimawandel macht sich seit Jahren in den Weinbergen bemerkbar. Die Temperaturen steigen und Extremwetterlagen nehmen zu. Starkregen, Hagel, Spätfrost und Dürre stellen Weinbau und Landwirtschaft Jahr für Jahr vor neue Herausforderungen. „Wenn wir diesen Planeten erhalten wollen, müssen wir alle unser Verhalten ändern“, sagt Carmen von Nell mit Nachdruck. „Wir müssen mit und nicht gegen die Natur leben.“ Deshalb hat sie vor gut drei Jahren auf Biodynamik umgestellt. „Das ist mein Beitrag zum Miteinander von Mensch und Natur.“
Beim biodynamischen Weinbau wird der ökologische Weinbau durch eine anthroposophische Herangehensweise ergänzt. „Weinbau zielt auf die Balance zwischen Pflanze und Umwelt und erfordert ein tiefes Verständnis für die Zusammenhänge der Natur“, erläutert sie. Dabei gelte es, die Eigenkräfte der Pflanze zu stärken. Dafür brauche man als Winzer fundiertes Fachwissen, Intuition und intensive Erfahrungswerte.



Statt auf Chemie setzt sie auf natürliche Präparate, statt auf Maschinentechnik auf Handarbeit. Das bedeute zwar Mehrarbeit und niedrigere Erträge, aber auf lange Sicht den Erhalt der Weinberge, betont sie. Auch altes Wissen gelte es zu erhalten. So wurde im Dominikanerberg in diesem Jahr zum ersten Mal eine alte, beinahe in Vergessenheit geratene Handtechnik angewendet und die Gipfeltriebe nicht mehr gekappt, sondern gewickelt. „Dadurch bleibt die Pflanze in ihrem natürlichen Gleichgewicht“, erklärt sie.
Um die Monokultur zu brechen, ist Begrünung im Weinberg ausdrücklich erwünscht. Das Unkraut und Gras zwischen den Rebzeilen halten Shropshire-Schafe von Herbst bis Frühling kurz. Mit ihrem Dung unterstützen sie gleichzeitig die Bodenkultur.
Die Botschafterin und der Charakter
Die Welt und das Geschehen in seiner Ganzheit und nicht selektiv zu begreifen, ist das, wonach Carmen von Nell strebt, und das in jeglicher Hinsicht. „Die Bilder meiner Vorfahren an der Wand sind viel mehr als nur Bilder; sie erzählen Lebensgeschichten und sind ein Teil von mir“, sagt sie nachdenklich. „Ich fühle mich den Generationen vor und nach mir sowie dieser Region sehr verbunden. Es ist mir ein Anliegen, unsere weltweit einzigartige Kulturlandschaft an der Mosel langfristig zu erhalten. Handwerkliches Können und ökologische Nachhaltigkeit gehören für mich dazu.“ Die Botschaft, die sie in sich trägt und auch selbst vorlebt: Ein authentischer Charakter bildet sich mit den Jahren, wenn er Neuem gegenüber aufgeschlossen bleibt und bewährtes Altes bewahrt – so wie jeder gute Wein.
Von Edith Billigmann
Dr. Carmen von Nell-Breuning ist die jüngte Tochter von Christoph und Ingeborg Nell-Breuning. Sie führt in elfter Generation die Weinbautradition ihrer Familie fort. Ihre Ahnen haben heute noch ihre Spuren hinterlassen. Dr. jur. Arthur von Nell (1908) ist Mitbegründer des bekannten Trierer Weinversteigerungsrings »Der große Ring«; ihr Großonkel war Oswald von Nell-Breuning (1890), Jesuit und Begründer der katholischen Soziallehre. Angebaut werden ausschließlich die klassischen Rebsorten Riesling und Spätburgunder. Durch das kühle Weinbauklima reifen die Trauben besonders lange, angereichert mit den wertvollen Mineralien des vor 400 Millionen Jahren entstandenen devonischen Schiefers. Wein und Sekt sind mehrfach ausgezeichnet.
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